Die Königin und der König gehören zur königlichen Familie
und wohnen in einem Königtum.

Wie würden wir diesen Satz spontan aussprechen? Hier kommen vier Wörter vor, die zur gleichen Familie gehören: Königin, König, königlich, Königtum. Sie werden alle vier mit <ig> geschrieben. Werden sie auch alle in der gleichen Art und Weise ausgesprochen?

Nein, das wäre zu leicht. Unsere Augen sehen nämlich die gleiche Orthografie, aber unser Ohr hört unterschiedliche Laute, die mit dem Mund anders gebildet werden. In dieser Arbeit interessiert uns die Buchstabenfolge <ig> und ihre verschiedenen Aussprachen. Willkommen im Königtum der deutschen Sprache!


Eine erste intuitive Überlegung wäre: „Ich sehe/schreibe <g>, also sage ich [g]“. Bei französischsprachigen Deutschlernenden wird diese Logik häufig verwendet, wir hören oft: „Deutsch ist einfacher als Französisch, wir schreiben wie wir sprechen.“

Es ist aber nicht so einfach. Gehen wir zum Treffen des royalen Ehepaars, wo sich ein phonetischer Unterschied befindet und beobachten wir, was sich verändert. Vergleichen wir die Wörter <Königin> und <König>.

 

Orthografie Aussprache Silbentrennung Beobachtung
<Königin> […nIgI…] Kö-ni-gin <g> + Vokal <i>

i-g => getrennt

<König> […nIç] Kö-nig <g> + nichts

ig => zusammen

 

Die Königin folgt der Intuition, also wird sie mit [g] ausgesprochen, der König jedoch nicht. Seine Majestät wird wie das Wort <ich> artikuliert. Im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA) wird für diesen Laut das Symbol [ç] benutzt. Hier befindet sich übrigens eine neue Schwierigkeit für einen französischsprachigen Deutschlernenden, denn dieser Laut ist in seiner Muttersprache nicht vorhanden. Öffnen wir eine kleine Klammer, um nur einen aussprachlichen Tipp zu geben. Was hört man, wenn ein Kater faucht? Indem wir ihn imitieren, sprechen wir den Laut [ç] aus.

Kommen wir zum Vergleich von <Königin> und <König> zurück. Die Silbentrennung ist anders: Die Folge <ig> in <Königin> wird getrennt, in <König> bleibt sie zusammen. Ergänzen wir diese Tabelle nun mit <königlich> und <Königtum>. Was beobachten wir?

 

Orthografie Aussprache Silbentrennung Beobachtung
<Königin> […nIgI…] Kö-ni-gin <g> + Vokal <i>

i-g => getrennt

<König> […nIç] Kö-nig <g> + nichts

ig => zusammen

<königlich> […nIkl…] kö-nig-lich <g> + Konsonant <l>

ig => zusammen

<Königtum> […nIçt…] oder […nIkt…] Kö-nig-tum <g> + Konsonant <t>

ig => zusammen

 

Wir sehen, dass mindestens drei unterschiedliche Aussprachen von <g> existieren: [g], [k] und [ç]. Wir sehen auch, dass die Umgebung des <g> eine Rolle spielt.

Wir könnten die Aussprache von <König> anzweifeln und sagen: „In Biel, in der Schweiz, habe ich schon Köni[g] gehört und sehr selten Köni[ç].“ Dazu würde ich antworten: „Jein, du hast vielleicht nicht Köni[ç] gehört, aber keinesfalls Köni[g], sondern sehr wahrscheinlich Köni[k]. Die Aussprache Köni[g] ist sehr unwahrscheinlich.“


Schauen wir uns zuerst den Unterschied zwischen [g] und [k] an. Dafür sprechen wir ein [g] und dann ein [k] aus. Was ändert sich? Schauen wir, was anatomisch passiert.

Bei der Aussprache der beiden laute befindet sich die Zunge an der gleichen Position, am weichen Gaumen. Der einzige Unterschied liegt in der Beteiligung der Stimmbänder: Bei [k] vibrieren sie nicht, solche Laute heißen stimmlos. Die Welle im [g]-Schema stellt das Vibrieren der Stimmbände dar. Dieser Laut ist stimmhaft. Um diesen Unterschied wahrzunehmen, berühren wir den Hals mit der Hand und sagen noch einmal einen [g], dann einen [k] Laut. Dass am Ende des Wortes ein stimmhafter Laut stimmlos wird, nennt man im Deutschen Auslautverhärtung. Das können wir an Wörtern wie Rad [t], brav [f], Gras [s] und eben König [k] beobachten.

Doch der König ist da noch weiter gegangen: Der Laut wird im heutigen Standarddeutschen nicht als [k], sondern als [ç] ausgesprochen, was für alle auf <ig> endende Wörter gilt, zum Beispiel traurig, lustig, fertig. Das ist aber immer noch nicht alles.


Begeben wir uns nun mit der königlichen Familie auf die Reise. Der König kommt zuerst in der Schweiz an und das Volk schreit: „Lang lebe der Köni[k]!“. Dann geht er mach Münster und hört: „Lang lebe der Köni[ç]!“ und schließlich kommt er in Mainz an. Hier schreien die Leute: „Lang lebe der Köni[∫]!“, nochmals mit einem anderen Laut. Seine Majestät hat drei verschiedene Lautversionen gehört, die auf der folgenden Karte gezeigt werden.

 

Alle drei Laute [ç]  / [k] / [∫]  sind Konsonanten und stimmlos. Damit ein Konsonant wieder stimmhaft wird, muss er durch einen Vokal begleitet sein. So ist es im  Wort <Königin>, wo auf <g> der Vokal <i> folgt.

Machen wir einen Stritt zurück in die Vergangenheit bis ins Mittelalter und schauen uns an, wie unsere vier Wörter (König, Königin, königlich, Königtum) geschrieben und artikuliert wurden.

Standardsprache Mittelhochdeutsch Beobachtung
König künec / künic / kunec / kunic / künc / kunc / kuninc / koninc / chunec / chunic / chuoni(n)c / chung / chüng mehrheitlich [k]
Königin künegin(ne) / künigin(ne) / kuni(n)gin(ne) / kungin / küngin / koningin(ne) / chungin / chunigin / chuoni(n)gin(ne) immer [g]
königlich küneclich / küniclich / kuneclich / kuniclich / künclich / kunilich / kunenclich / kun(in)clich / chunclich / chuninclich fast immer [k]
Königreich, Königtum künecrîche / künicrîche / kuncrîche / küncrîche / kuni(n)crîche / koninrîche / chunincrîche / chüngrîche mehrheitlich [k]
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   (Hennig 2014: 188)

Wenn wir uns <g> anschauen, bemerken wir, dass es sehr oft mit einem <c> geschrieben wurde. Das Wort <Königin> wird im Gegensatz dazu immer mit <g> geschrieben. Hier können wir mit den Augen feststellen, was wir aussprechen. Es wurde früher also eher so geschrieben, wie es auch gesprochen wurde!

„Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es im deutschen Sprachgebiet eine überregional mehr oder weniger einheitliche Aussprachevarietät, die an der Schriftform der Wörter orientiert war und als ‚vorbildliche Aussprache‘ galt“ […] [Das Ziel ist] „eine Aussprachenorm für das Deutsche zu fixieren“ (Barz 2016: 54). Die Laute [g], [k], [ç] und [ᶴ] wurden normalisiert sowie die heutige Verschriftung <ig> und [ç] wurde als Standardsprache gewählt. In der Schweiz können wir noch <Köni[k]> artikulieren. Somit besteht noch ein Erbe der mittelalterlichen Königsfamilie, welches zum heutigen Sprachreichtum beiträgt.

 

Dieser Beitrag wurde verfasst von Joyce Veuve und entstand im Rahmen der Vorlesung „Phonetik und Phonologie“ im Herbstsemester 2019.

 

 

 

 

Quellen:

  • Barz, Irmhild (2016): Duden – Die Grammatik: Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 9. Aufl. Berlin: Bibliographisches Institut (= Duden).
  • Hennig, Beate (2014), Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 6. Aufl., Berlin und Boston.
  • „Altas zur deutschen Alltagssprache“: <www.atlas-alltagssprache.de>
  • Schemata der phonetischen Anatomie: <http://smu-facweb.smu.ca/~s0949176/sammy/>