Im Rahmen des sprachwissenschaftlichen Proseminars «Neue Wege zur Untersuchung und Darstellung Schweizerdeutscher Dialekte» haben Studierende aus den zweiten und dritten Jahrgängen vom Bachelor eine persönliche empirische Einzel- oder Partnerarbeit ausgeführt. 

Es war eine Neuheit am Deutschen Institut, ein Proseminar über schweizerdeutsche Dialekte zu veranstalten. Eine besondere Gelegenheit für die Germanistikstudierenden, weil sie dank der Erfahrung sich mit der Kultur und Sprache unserer deutschsprachigen Nachbarn vertraut machen und mit ihnen Kontakt aufnehmen konnten. Um dieses Experiment zu ermöglichen, lud die Universität Neuenburg Professor Adrian Leemann, der an der Universität Bern an der Centre for the Study of Language and Society arbeitet ein. Prof. Leemann ist ein Experte von Sprachwissenschaft und Phonetik, deswegen war er die geeignete Person für dieses Proseminar.

Die Verteilung der Unterrichtsstunden in diesem Kurs war auch besonders, indem er über vier Tage während des Semesters während des ganzen Tags stattfand. Der erste Termin widmete sich hauptsächlich der Theorie, Übungen, dem  persönlichen Themenwahl und den Präsentationen der Projektskizzen. Am zweiten Tag hatte Prof. Leemann seinen Stab vom SDATS Projekt eingeladen. Jeder von ihnen hatte eine Arbeitsstelle vorbereitet, die sich auf sein Fachgebiet bezog, um uns Ideen und Ratschläge zu geben, wie wir unsere Forschungsarbeit durchführen und wie wir unser eigenes Korpus aufbauen konnten. Bei der dritten Begegnung stellte jede Gruppe den anderen ihr Projekt vor. Am letzten Termin haben alle Studierende und Prof. Leemann eine gemeinsame Dialekterhebung in kleinen Gruppen in der Stadt Murten durchgeführt. Zurück in der Klasse hat jede Gruppe einen Artikel geschrieben und einer wurde ausgewählt und in der lokalen Zeitung «der Murtenbieter» veröffentlicht. –>Dialektforscher kommen auch nach Murten

Mein Projekt «Dialektische Vergleichsstudie zwischen Generationen in Biel. Eine synchrone und diachrone Analyse» wurde als eine empirische Partnerarbeit mit Oumaima Zinbi ausgeführt. Ziel unserer Arbeit war es den Sprachwandel in der Schweiz durch drei Hypothesen zu untersuchen. Die erste Hypothese war, dass es Sprachveränderungen gibt, da die erwachsene Generation eine andere Verwendung des Dialektes als die jüngere Generation zeigt. Die Zweite war, dass die Sprechweise der erwachsenen Generation im Jahr 2020, derjenigen aus der Zeit der Karten des Sprachatlasses der deutschen Schweiz (SDS-Karten) gleicht. Die dritte Hypothese war, dass phonetische Variablen weniger Änderungen als lexikalische oder morphosyntaktische Variablen erfahren.

Zur Überprüfung der Hypothesen wurden Korpusdaten mit Hilfe einer direkten Erhebung erstellt. Diese Daten werden aus zwei unterschiedlichen Perspektiven verglichen und analysiert, nämlich anhand einer synchronen Analyse, d.h. ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Generationen zu einem bestimmten Zeitpunkt (Change in apparent-time) und einer diachronen Analyse,  d.h. ein Vergleich zwischen der gegenwärtigen und früheren Sprache der Region (change in real-time).

Für die synchrone Analyse wurden zwei Personen unterschiedlicher Alterskategorien interviewt, nämlich ein Kind (11 Jahre), und eine Erwachsene (29 Jahre). Die Aussagen in den Interviews wurden miteinander verglichen, um Unterschiede in den Sprechweisen zwischen zwei aufeinander folgender Generationen im Jahr 2020 zu analysieren. In der anschliessenden diachronen Analyse, d.h. dem Vergleich zwischen den jeweiligen Sprechern und den Daten aus den SDS-Karten, haben wir die Sprechweise über die Zeit hinaus verglichen, um zu kontrollieren, welcher der Sprecher den im SDS-erfassten Daten näher ist. In der anschliessenden diachronen Analyse, d.h. dem Vergleich zwischen der jüngeren und der gegenwärtigen erwachsenen Generation, werden die Aussagen der interviewten Personen mit den SDS-Karten verglichen. Die SDS-Karten dokumentieren die verschiedenen schweizerdeutschen Mundarten in Hinsicht auf Laute, Formenbildung und Wortschatz. Die SDS-Karten wurden von 1939 bis 1958 an 565 Orten der Deutschschweiz unter Verwendung eines definierten Fragenkataloges erhoben (vgl. Christen et al. 2012: 5). Die Antworten wurden dabei in einer eigens entwickelten phonetischen Schreibweise notiert, die allerdings nicht der Tabelle des Internationalen Phonetischen Alphabets (IPA-Tabelle) entspricht.

12 lexikalische, 12 phonetische und 6 morphosyntaktische Variablen unterschiedlicher Wortklassen wurden zur Untersuchung ausgewählt, die nach unserer Meinung einfach zu erkennen sind, weil sie sich leicht vorstellen lassen. Wir haben drei verschiedene Ansätze verfolgt, um die gesuchten Variablen zu verdeutlichen, nämlich Bilder, Lückensätze und Videos. Wie folgendes :

Um den Sprachwandel auf Grundlage unserer Daten analysieren zu können, mussten  wir den Prozentsatz der Zustimmung oder Ablehnung pro Variable (= Mittelwert von den zwei Befragten) durchführen. Folgend wurden die Variablen mit übereinstimmender Aussprache (+) und mit unterschiedlicher Aussprache (-) in der unteren Tabelle (Tabelle 1) zusammengefasst. Die Tabelle ist wie folgt strukturiert: Oben steht die Variabel-Kategorie mit Angabe der Übereinstimmung in Klammern. Fett markiert in der Tabelle sind die einzelne Variable auf Hochdeutsch. Bei übereinstimmender (+) Aussprache wird nur eine Transkription des verwendeten schweizerdeutschen Begriffs gegeben. Bei unterschiedlicher (-) Aussprache wird zuerst die Transkription auf Schweizerdeutsch vom Kind und dann von der Erwachsene gegeben.

 In einem zweiten Teil haben wir unsere Daten mit den SDS-Karten verglichen. Unten steht ein Beispiel von einer SDS-Karte:

 

 

Die Ergebnisse unserer Untersuchung sollten aus mehreren Gründen vorsichtig interpretiert werden. Tatsächlich kann die Zuverlässigkeit der Daten unseres Experimentes hinterfragt werden. 

Beim Vergleich der beiden Altersgruppen ergibt sich eine gesamte Übereinstimmung von 41% (Tabelle 4). Diese geringe Übereinstimmung hat im Rahmen unserer Untersuchung gezeigt, dass die erwachsene Generation den Dialekt anders als die jüngere Generation verwendet. Dieses Ergebnis kann aufgrund der vorher erwähnten internen und externen Faktoren Abweichungen unterliegen

Die erwachsene Sprecherin  zeigt im Vergleich mit den SDS-Karten eine gesamte Übereinstimmung von 81% (Tabelle 4). Im Gegensatz dazu fällt die gesamte Übereinstimmung der jüngeren Sprecherin im Vergleich mit den SDS-Karten mit 41% um die Hälfte geringer aus. Auf Grundlage unserer Beobachtung lässt sich damit schliessen, dass die Sprechweise der erwachsenen Generation im Jahr 2020 stärker denen der Zeit der SDS-Karte gleicht im Vergleich zur jüngeren Generation. Eine weitere Beobachtung ist, dass phonetische Variablen mit der Zeit weniger Änderungen als lexikalische oder morphosyntaktische Variablen erfuhren.

 

Hinterlass mir gern einen Kommentar, wenn du Fragen oder weiteres Interesse hast!

Bis bald,

Deine Mélissa

 

 

Quelle

Christen Helen, Glaser Elvira & Friedli Matthias (Hrsg.) (2012): Kleiner Sprachatlas der

deutschen Schweiz (4. Aufl. ed.). Frauenfeld: Huber.